Was ist Vitamin A5 und was ist seine biochemische Bedeutung?
„Vitamin A5“ wird als Oberbegriff für die relevanten Vorstufen („Provitamin A5“) und die aktive Verbindung („Vitamin A5-Säure“) vorgeschlagen:
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Pro-Vitamin A5 |
- 9-cis-Beta-Carotin - 9-cis-Dihydro-Beta-Carotin - 9-cis-Dihydroretinylester - 9-cis-Dihydroretinol |
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aktives Vitamin A5 |
- 9-cis-Dihydroretinsäure |

Abbildung: adaptiert nach (1)
Während all-trans-Retinsäure – die aktive Form von Vitamin A (oder Vitamin A1) – vorwiegend über den Retinsäure-Rezeptor (RAR) wirkt, wird 9-cis-Dihydro-Retinsäure als potenzieller Ligand des Retinoid-X-Rezeptors (RXR) diskutiert. Die physiologische Relevanz und das Vorkommen im Menschen sind jedoch bisher nicht eindeutig belegt.
Der RXR entfaltet seine biologischen Funktionen hauptsächlich als Heterodimer, indem er mit einer Vielzahl anderer nukleärer Rezeptoren dimerisiert (z.B. Vitamin-D-Rezeptor VDR, Retinsäure-Rezeptoren RAR, Farnesoid-X-Rezeptor FXR). Diese Heterodimere regulieren die Genexpression und beeinflussen zahlreiche Stoffwechsel- und Differenzierungsprozesse (1). Einige experimentelle Arbeiten deuten darauf hin, dass RXR-abhängige Signalwege eine Rolle in Prozessen wie Autophagie, neuronaler Homöostase, Myelinisierung sowie neuroinflammatorischen Vorgängen spielen könnten.
Sollte sich das Vitamin A5-Konzept bestätigen, könnte dies Implikationen für kognitive Funktionen, Stressresistenz, neuroprotektive Mechanismen und möglicherweise die Prävention neurodegenerativer Erkrankungen haben. Diese Zusammenhänge sind jedoch zum aktuellen Zeitpunkt noch hypothetisch. (1,4).
In welchen Lebensmitteln findet man Vitamin A5-Verbindungen und welches sind normale Zufuhrmengen?
Die in Lebensmitteln vorkommenden Konzentrationen von 9-cis-Beta-Carotin liegen zwischen 0.1-39 µg/g Frischgewicht. Zu den anderen Vitamin A5-Formen gibt es noch zu wenige Daten und die entsprechenden Konzentrationen scheinen sehr niedrig zu sein (2).
Besonders reich an 9-cis-Beta-Carotin sind Blatt-, Wurzelgemüse, Kohlarten und auch die Alge Dunaliella salina (3). Tierische Lebensmittel enthalten hingegen nur wenig 9-cis-Beta-Carotin.
| Lebensmittel |
9-cis-Beta-Carotin in µg/g Frischgewicht |
| Gemüse | |
| Spinat | 38.6 |
| Grünkohl | 14.1 |
| Petersilie | 11.6 |
| Süsskartoffel | 1.5-10.2 |
| Karotten | 6.5 |
| Brokkoli | 5.0 |
| Tomaten | 4.8 |
| Dill | 4.3 |
| Kürbis | 0.2-2.25 |
| Lattich | 2.0 |
| Früchte | |
| Papaya | 1.3 |
| Aprikosen | 0.6 |
| Pfirsiche | 0.3 |
| Bananen | 0.1 |
Ein internationales Expertengremium schlug vor, die tägliche Zufuhr von Vitamin A5 auf etwa 1,1 mg (0,5 bis 18 mg) festzulegen (2). In Europa liegt die durchschnittliche Zufuhrmenge bei Erwachsenen im Durchschnitt bei rund 0,9 mg pro Tag, wobei deutliche regionale Unterschiede bestehen: Die niedrigsten Werte wurden in Deutschland und Österreich mit etwa 0,5 mg beobachtet, während Italien mit 1,3 mg die höchsten Aufnahmewerte erreichte. Insgesamt deuten die Berechnungen darauf hin, dass etwa zwei Drittel der europäischen Bevölkerung eine zu niedrige Vitamin A5-Zufuhr (<1,1 mg/Tag) aufweisen (2).
Um die empfohlene Menge an Vitamin A5 zu erreichen, wäre ein täglicher Verzehr von etwa 3,5 bis 5 Portionen Gemüse und Früchten erforderlich. Allerdings erfüllen die meisten der untersuchten europäischen Länder – mit Ausnahme von Italien und Luxemburg – die von der WHO empfohlenen mindestens 400 g Gemüse und Früchte pro Tag nicht. Generell zeigte sich, dass südeuropäische Länder höhere Verzehrmengen von Gemüse und Früchten aufweisen als nordeuropäische Staaten.
Ausblick
Die Vitamin A-RXR-spezifische und RXR-vermittelte Rezeptorwirkung durch Vitamin A5 ist eine essenzielle, mikronährstoff-vermittelte und physiologisch notwendige Funktion. Damit erfüllt Vitamin A5 die global festgelegten Kriterien für ein Vitamin. Noch ist Vitamin A5 aber nicht offiziell als Vitamin anerkannt. Da Vitamin A5 strukturell dem klassischen Vitamin A1 ähnlich ist, sollte es als eigene Unterklasse von Vitamin A klassifiziert werden. Nationale und internationale Gremien und Behörden müssten nun ihre Definitionen für Vitamin A anpassen, damit Vitamin A5 seinen Platz in der Familie der Vitamine einnehmen kann.
Literatur
(1) Bohn T et al. Vitamin A5: Evidence, Definitions, Gaps, and Future Directions. Nutrients. 2025;17(14):2317. https://www.mdpi.com/2072-6643/17/14/2317
(2) Bohn T et al. Estimated dietary intakes of vitamin A5. 2024;16(23):4004. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11643636/
(3) Harvey PJ et al. Towards a sustainable Dunaliella salina microalgal biorefinery for 9-cis β-carotene production. Algal Research. 2020;50:102002. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2211926420301132
(4) Bánáti et al. Defining a vitamin A5/X specific deficiency–vitamin A5/X as a critical dietary factor for mental health. Int J Vitamin Nutr Res. 2024;94(5-6):443-475. https://pure.rug.nl/ws/portalfiles/portal/1125862256/0300-9831_a000808.pdf
