Folsäure oder 5-Methyltetrahydrofolat zur Prävention von Neuralrohrdefekten?

Hintergrund
Es besteht ein globaler Konsens, dass eine ausreichende Folsäurezufuhr vor und während einer Schwangerschaft für die Vorbeugung von Neuralrohrdefekten günstig ist. Eine adäquate Folsäurezufuhr von Frauen mit Kinderwunsch ist jedoch in vielen Ländern nicht gewährleistet (1,2). Nationale und internationale Leitlinien stimmen darin überein, Frauen mit Kinderwunsch und schwangeren Frauen eine tägliche Supplementierung von 400 µg Folsäure zu empfehlen (3,4). Die Supplementierung sollte mindestens 1 Monat (besser 3 Monate) vor der Konzeption erfolgen und mindestens während der ersten 3 Monate der Schwangerschaft fortgesetzt werden.
Es ist üblich, dass Präparate, die zur Supplementierung von Frauen vor und während einer Schwangerschaft bestimmt sind, Folsäure enthalten. Ausgehend von der Tatsache, dass Folate im Stoffwechsel zu 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) umgewandelt werden, wurde die Hypothese aufgestellt, dass Supplemente mit 5-MTHF ebenfalls für die Prävention von Neuralrohrdefekten eingesetzt werden können. Verschiedene Gremien (z.B. EFSA, BLV) haben 5-MTHF als Calcium- bzw. Glucosaminsalz zugelassen.
Eine neue Übersichtsarbeit (5) hat nun die Bioverfügbarkeit, den Einfluss auf den Folat- und Homocysteinspiegel, die klinische Wirksamkeit und die Sicherheit von 5-MTHF und Folsäure untersucht und miteinander verglichen.

Folsäure und 5-MTHF im Vergleich
Bioverfügbarkeit und Einfluss auf den Folatspiegel in den Erythrozyten
Die bisher durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass Supplementierungen von Folsäure oder von 5-MTHF eine vergleichbare Bioverfügbarkeit aufweisen.
Folsäure-Erythrozytenspiegel gelten als adäquater Marker, um eine ausreichende Versorgung mit Folaten zu beurteilen. Für die Prävention von Neuralrohrdefekten wurde ein Zielwert von > 906 nmol/l festgelegt.
Bei der Gabe von äquimolaren Dosen von Folsäure (400 µg/Tag) bzw. von 5-MTHF wurden mit 5-MTHF leicht höhere Folatspiegel in den Erythrozyten erreicht als mit Folsäure. Mit beiden Verbindungen wurde aber der Zielwert von 906 nmol/l bei weitem überschritten. Mit 5-MTHF stieg der Folatspiegel jedoch etwas schneller an, was angesichts der Tatsache, dass der Neuralrohrschluss sehr früh nach Konzeption stattfindet - oft, bevor eine Frau überhaupt von ihrer Schwangerschaft Kenntnis hat – klinisch relevant sein kann.
Wirkung auf die Homocystein-Blutspiegel
Eine der biochemischen Eigenschaften der Supplementierung mit Folsäure-Präparaten ist die Reduktion der Homocystein-Blutspiegel. Es hat sich gezeigt, dass eine konsequente Folsäuregabe während der gesamten Schwangerschaft das Risiko einer Homocysteinämie senken konnte.
Mit der Verabreichung von 5-MTHF konnten vergleichbare Reduktionen des Homocystein-Spiegels beobachtet werden. Allerdings ist die Datenlage hierfür schmal.
Klinische Wirksamkeit
Bisher gibt es lediglich für die Folsäure den wissenschaftlichen Beweis der Wirksamkeit bei der Prävention von Neuralrohrdefekten. Neuere Daten zeigten deutliche Risikoreduktionen im Bereich zwischen 44 und 69% - insbesondere, wenn die Folsäuregabe 3 Monate vor einer Konzeption gestartet wurde. Dies gilt auch für Frauen mit Polymorphismen des MTHF-Reduktase-Enzyms. Obwohl auch 5-MTHF häufig als mögliche Alternative zur Folsäure bei der Vorbeugung von Neuralrohrdefekten empfohlen wird, gibt es für diese Anwendung zurzeit noch keine veröffentlichten klinischen Studien. Daher wird in Fachkreisen gefordert, dass entsprechende randomisierte, kontrollierte Studien zum Nachweis der Wirkung, des Timings, der Dosierung, der Stabilität und Sicherheit von 5-MTHF vorgelegt werden.
Sicherheit
Die meisten Präparate, die für die Supplementierung vor und während einer Schwangerschaft konzipiert wurden, enthalten einerseits moderate Folsäure-Dosen (unterhalb des Upper Intake Levels von 1 mg) und andererseits auch Vitamin B12. Daher ist auch das mögliche Maskieren von Vitamin B12 Mangel durch die Folsäure von minimaler Bedeutung.
Fazit
Für den präkonzeptionellen, präventiven Einsatz von Folsäure zur Senkung des Risikos von Neuralrohrdefekten gibt es eine gute wissenschaftliche Evidenz. Wünschenswert ist, wenn bald auch klinische Studien verfügbar sind, die eine konkrete Risikosenkung für Neuralrohrdefekte durch eine 5-MTHF-Supplementierung belegen.
Für Frauen mit Kinderwunsch und bei Schwangeren kann der Einsatz von 5-MTHF durchaus sinnvoll sein kann, da damit leicht höhere und schneller adäquate Folatspiegel in den Erythrozyten erreicht werden als mit Folsäure
Literatur
- Obeid R et al. Folate status and health: challenges and opportunities. J Perinat Med. 2016;44(3):261-268.
- Partearroyo T et al. Dietary sources and intakes of folates and vitamin B12 in the Spanish population: Findings from the ANIBES study. PloS one. 2017;12(12):e0189230.
- Eichholzer M et al. Folsäure ist unentbehrlich für die normale Entwicklung des Kindes. Bern: Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). 2008.
- European Food Safety Authority (EFSA). Dietary reference values for nutrients summary report. 2017. Vol. 14. No. 12.
- Samaniego-Vaesken MdL et al. Supplementation with folic acid or 5-methyltetrahydrofolate and prevention of neural tube defects: an evidence-based narrative review. Nutrients. 2024;16(18):3154.